England 2008
In der Wiege der Kanalschifffahrt
Warum nach England …?
England ist zweifellos die Wiege der Kanalschifffahrt. Im Zusammenhang mit den Bedürfnissen der industriellen Entwicklung enstand bereits seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts ein dichtes Netz von Kanälen und Wasserwegen. Diese Tätigkeit hat sich später bis zum „Kanalfieber“ ausgewachsen. Von den Kanälen haben sich ungesehene mehr als drei Tausend Kilometer bis in unsere Tage erhalten, jedoch nur noch für die Touristenschifffahrt. Das ist schon ein attraktives Angebot für denjenigen, der an der Schiffahrt auf binnenländischen Wasserwegen Gefallen gefunden hat und der sich nach dem Kennenlernen von neuen Schifffahrtsregionen sehnt. Und wenn noch die romantische englische Landschaft hinzukommt, sowie die mit historischen Städtchen gesäumte Kanäle, Burgen und Schlösser, viele ungesehene industrielle Denkmäler oder im Gegensatz die Parkanlagen in der Umgebung der Kanäle, erhaltene bahnbrechende Wasserwegwerke, wirklich untraditionelle Kanalfahrzeuge, reges Schiffverkehr und Leben auf den Kanälen und eine nicht unbedeutende Sportleistung bei der Schleusenbedienung … Auch Hamlet in Stratford steht nicht vor dem Dilemma „Sein oder Nichtsein“, sondern „Fahren oder Nichtfahren“ …
Deshalb also Canalboating auf der „Insel“ …!
Worauf wird in England gefahren …?
Meistens auf künstlichen Kanälen, die es fast überall gibt, die Sie aber nur zufällig oder dann finden, wenn Sie diese gezielt suchen. Wahrscheinlich stoßen Sie auf die Kanäle in Städten, falls es auf deren Schleusen und ankernde Schiffe gibt. In der Natur sind sie hinter der Küstenvegetation verborgen oder sie werden mit einem örtlichen Bach oder Flüsschen verwechselt. Und wenn Sie bei der Untersuchung das Gefühl haben, dass der Kanal irgendwo hier sein sollte, und er ist nicht da, dann befindet er sich bestimmt im Tunnel unter Ihnen. Bei Autofahrt erblicken Sie die Kanäle nicht. Im Unterschied zu den Straßen sind sie gut „versteckt“. Und dies auch darüber hinaus, dass es jene ein paar Tausende km von ihnen gibt und dass sie in ehemaligen Industriegebieten von London bis nach Norden zum Leads konzentriert sind. Erwarten Sie beim Fahren auf englischen Kanälen keine ausgedehnten Wasserflächen, sie sind „narrow“ – eng – von 5 bis 10 m und ihr Wasser ist keineswegs kristallklar. Es ist wirklich nur das „ein Schiff tragende Medium“. Sie sind vor allem durch die technischen Lösungen bei der Führung durch die Landschaft originell. Bereits die ersten Erbauer der Kanäle – vom genialen Baumeister James Brindley in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts – „trieben“ die Kanäle nicht dort, „wo es ging“, sondern dort, „wo sie notwendig waren“. Sie haben keine Rücksicht auf die Geländekompliziertheit genommen, sondern unter Anwendung von einer unendlichen Anzahl von Schleusen, Tunneln, Aquädukten, Brücken, …dessen Fallen getrost überwunden. Und das gerade zählt die Kanäle auch für heutige Schiffer zu attraktiven Schifffahrtsgeländen. Die Kanäle und die mit ihnen verbundenen schiffbar gemachten oder kanalisierten Flüsse bilden durch ihre gegenseitige Verbindung ein ausgedehntes Netz. Fast alle Abschnitte sind gut instand gehalten, und zwar im deren ursprünglichen Zustand aus der Zeit der Entstehung vor 100 bis 200 Jahren. Auf ihnen hat sich nichts geändert – es fällt mir ein, dass es wohl nur aus den Gründen der englischen Traditionsbeliebtheit so ist. Alle Reparaturen oder Gesamtrekonstruktionen werden als genaue Kopien des Ursprünglichen durchgeführt: die Schleusen sind folgerichtig nur manuell, Tunnel kennen keine elektrische Energie, es sind hierher keine „modernen“ Sicherheitsmaßnahmen eingedrungen, … Manchmal unterliegen Sie dem Gefühl, dass Sie ein großes Freilichtmuseum durchfahren. Auf das alles passt auf und das alles betreibt die staatliche Firma British Waterways und vielerorts auch gemeinnützige Truste von lokalen Freaks. Sie gewährleisten auch Hafen- und Touristenservices auf hohem Niveau.
Darauf wird also in England gefahren …!
Womit wird auf englischen Kanälen gefahren …?
Das ist aber Frage, selbstverständlich mit Schiffen – jedoch nicht mit üblichen …! Es wird dort auf „narrowboats“ gefahren, die die örtliche Flotte hundertprozentlich beherrscht haben. Was ist ein narrowboat? Schauen wir in die Geschichte: Lastkähne, auch Monkey genannt, die auf alten englischen Kanälen Güter befördert haben, mussten an die Ausmaße von damaligen Schleusen angepasst werden – Länge 22 m und Breite 2,3 m. Die Kähne mit diesen Abmessungen konnten eine Last bis 30 t befördern. Vom Ufer wurden sie von Pferden oder Maultieren gezogen und die Besatzung, gewöhnlich ein Mann und eine Frau, hat ganzjährig die Kajüte am Schiffsheck mit einer Länge von ungefähr zwei Meter bewohnt. Das Schiff wurde gewöhnlich von der Frau gesteuert, während der Mann das Gespann geführt und die Schleusen bedient hat, was sowohl damals, als auch heute keine leichte Arbeit war und ist. Die Kanalgestaltung und die Schleusenabmessungen haben sich bis heute erhalten und von den alten Lastkähnen sind touristische und bewohnbare „narrowboats“ entstanden. Der Laderaum verwandelte sich in schön eingerichtete Kajüten, das Pferdegespann wurde vom Bootsmotor ersetzt … Der hatte jedoch eine grundlegende Umgestaltung zur Folge (warum?): die Schiffe werden heute überwiegend von Männern gesteuert und auf den Kammerschleusen plagen sich „Schiffsmädchen“ ab. Trotz der technischen Modernisierung werden die Schiffe auch heute mit der klassichen Steuerstange am Schiffsheck gesteuert. Die Grundgestaltung und –form von den narrowboats wird also durch die Geschichte und die Wasserwegabmessungen gegeben und so können sich die Schöpfer und Inhaber von heutigen Kähnen nur in anderen Sachen „ausstollen“. Unterschiedlich ist vor allem die Länge, von 8 m bis zu „vollwertigen“ 20 m, das ist aber schon ein „Spaghetti“-Schiff. Dann gibt es Unterschiede in der Innenausstattung, von bescheidener Ausstattung bis zum gehörigen Luxus. Die meiste Fantasie wird jedoch bei Schiffanstrichen und beim deren Ausschmücken zur Geltung gebracht – wo bleibt das „schroffe“ Weiß der Hochseejachten: bunte Pastellfarben, kunstvoll gemalte Namen von Schiffen und Heimathäfen, unübersehbare vordere und hintere Stoßstangen und oft auch reiche Blumen- oder Gemüsedekoration auf dem Dach. Narrowboat, das ist kein Wasserfahrzeug, das ist eine besondere Schiffwelt, das ist ein Stil des Lebens auf dem Wasser … Und von denen gibt es in England Zehntausende, Zehnen gibt es auch von Verleihen dieser Boote. Wir haben in Brewood, nördlich von Birmigham, die „Sir Fergus“ von der Gesellschaft Countrywide Criusers gemietet. Grundangaben der Schiffes: Länge 18 m, Breite 1,8 m, zwei Schlafzimmer, Küche, Esszimmer, WC und Dusche, warmes Wasser, Kühlschrank, Gasherd,…, perfekt für vier Besatzungsmitglieder, vom Hund zu schweigen (Pepik, Lída, Honza, Šárka, Ajda).
Damit wird also auf den Kanälen gefahren …!
Und wie sind also wir gefahren …?
Das „größte Problem“ ist es, eine passende Trasse für eine Wochenschifffahrt auszuwählen. Wir haben geschlossen, dass wir, wenn wir nicht herumlungern, die populäre Rundstrecke Four Counties Ring schaffen – sie ist ca. 100 Meilen lang und verfügt über 98 Schleusen und einen langen Tunnel, was die schnelle Schifffahrt nicht erleichtert, wobei aber eine Sportleistung und eine Menge von Schifffahrtserlebnissen gewährleistet ist – die voraussichtliche Schifffahrtsdauer beträgt 50 Stunden. Die Strecke wird von Teilen dreier mittelenglischen Kanäle gebildet: Shropshire Union Canal, Trent and Mersey Canal und Staffordshire and Worchester Canal. Mit der Fahrt haben wir am Montag vormittag in Brewood angefangen und uns für die Fahrt „im Uhrzeigersinn“ in Richtung Norden entschieden. In ersten ein paar Minuten haben wir uns an die Schiffssteuerung gewöhnt, denn es braucht ein bißchen Übung, diese Nudel auf der engen Schiffbahn mit der Steuerstange vom Schiffsheck zu steuern. Wir haben das Treffen in die verjüngten Orte des Kanals geprüft, sowie eine vorsichtige und langsame Fahrt entlang der Ufer mit ankernden „Kollegen“ und einen kurzen Tunnel Cowley. Für die Nacht haben wir in Narbury geankert, wo die kostenlose Verankerung eine Erwährung verdient, genauso wie die Duschen und WC im Hafen, Eintritt zu denen uns der Schlüssel gesichert hat, den wir zusammen mit dem Schiff aufgefasst haben. Und es gab mehrere solche Orte auf der Strecke. Bislang sind wir auf einer langen Haltung, also auf „geradem“ Wasser gefahren. Heute beginnt es „steil“ nach unten fallen. Es ist sogar zum Verwundern, wie viele Schleusen auf ein paar Kilometern die Erbauer auszudenken geschafft haben. Bis Nantwich waren es genau 27. Aber zu viert ging es ganz schnell und in aller Ruhe: einer hat das Schiff gesteuert, zwei haben die Schleuse bedient, die wir gerade durchgefahren haben, und der vierte ist nach vorne gegangen, um die nächste Schleuse vorzubereiten. Aber trotzdem, 10 bis 20 Minuten je eine Schleuse. Es ist ein ungewöhnlicher Anblick – bis auf den Steuermann fahren auf dem Kanal verlassene Schiffe und am Ufer laufen in beiden Richtungen Schiffsjungen, in der Hand ein unentbehrliches Hilfsmittel – einen Metallhebel zum Öffnen von Schleusenauslässen, oder sie plagen sich mit dem Öffnen von Schleusentoren ab. Eine professionelle Bedienung oder moderne Technik gibt es hier nicht.
Nach drei Tagen sind wir auf den Trent and Mersey Canal eingefahren, haben uns nach Süden gewandt und zum höchsten Punkt der ganzen Ringstrecke gezielt – zur Scheitelhaltung mit dem Tunnel Harecastle. Der Aufstieg war aber selbstverständlich mit der Bezwingung von weiteren Schleusen „erkauft“, von Nantwich bis zum Tunnel bei der Stadt Kidsgrove waren es „nur“ 31, viele waren wegen der Verkehrsbeschleunigung verdoppelt. Das Durchfahren von einem so langen Tunnel – 2676 m – das ist ein Ereignis, das man nicht so oft erlebt. Sein Sparprofil ermöglicht nur einen einbahnigen Verkehr, bei der Schiffssteuerung müssen sie Acht geben, um sich mit dem Kopf an der Decke nicht zu stoßen. Die Beleuchtung besorgt nur eine eigene Schiffslampe, ab und zu fangen sie einen Schwupp des durchdringenden Wassers auf. Die Ziegelausmauerung gewann innerhalb von beinahe 200 Jahren ihrer Existenz an Patine und an feiner „Tropfsteinausschmückung“ aus abgelagerten Mineralien. Für das Vollenden des Images von düsteren Katakomben sorgt auch der sich wiederhallende Ton von Bootsmotoren. Leidet jemand an Klaustrophobie, dann sollte man den Tunnel lieber über den Hügel umlaufen oder in der Kajüte unter die Decke kriechen. Die 45 Minuten lange Schifffahrt zahlt sich aber aus. In dieser Scheitelpartie hat sich auch die Kanalumgebung deutlich verändert. Die alten industriellen Bauten entlang der Ufer – Fabriken, Keramiköfen, Umschlagplätze mit Kranen, Bootreparaturwerkstätten, – von denen sich heute viele als „black country“ Freilichtmuseen präsentieren, zeugen davon, dass die Grafschaft Staffordshire ein Bestandteil der industriellen Entwicklung Englands war. Die Stadt Stoke on Trent war ein Zentrum der keramischen Produktion und gehörte bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts zu den am meisten verschmutzten Gebieten. Die bis heute erhaltenen Keramiköfen in der „Flaschen“-Form sind ein Nachweis davon. Das alles bestätigt auch, wie schmal und wichtig die Verbindung von Kanälen als Verkehrswegen mit der industriellen Entwicklung war. Ich denke, dass auch diese weniger romantische Seite von „canalboating“ sehr interessant ist. Am Sonntag abend hat sich der Kreis dort geschlossen, wo er angefangen hat – in der Marina in Brewood. Dazu mussten wir jedoch noch weitere ungefähr 30 Schleusen nach unten und oben und zwei Kanalkreuzungen überwinden, sowie zwei Tage intensiver Schifffahrt absolvieren. Am Samstag nachmittag und am Sonntag vormittag haben wir eine interessante „Erscheinung“ vermerkt. Wie wir uns dem Ballungsgebiet vom Birmingham genähert haben, hat sich der Schiffverkehr verstärkt, indem viele Schiffer vor dem Ende des Weekends in ihre Heimathäfen zurückkehrten. Das Schiff haben wir am Montagmorgen in Ordnung zurückgegeben und mit Autos sind wir zu weiteren Erkenntnissen ausgezogen: Honza mit Šárka zu den Schönheiten von Südengland und ich mit Lída zur weiteren Untersuchung von reicher Kanalgeschichte der „Wiege der Kanalschifffahrt“ …
So haben wir also die Wochenschifffahrt absolviert …!
Was ist zum Abschluss hinzufügen …?
Vieles bleibt nicht mehr. Der Schluss ist klar: die Schifffahrt auf englischen historischen Kanälen kann man getrost als das Schifferabitur bezeichnen … Legen Sie diese also auch ab!
Juni 2008
Charter: www.countrywide-cruisers.com